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Other Fiction Bulwer-Lytton, Edward: Pelham. V1. [German] 2.9.2016

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"Pelham oder Abenteuer eines Gentleman" ist nach "Falkland" (1827) der zweite Roman von Edward Bulwer-Lytton; er erschien 1828 - sein Verfasser war damals gerade 25 Jahre alt - und das Buch über einen abenteuernden Dandy brachte ihm den Durchbruch als Schriftsteller. Es war zugleich ein Trendsetter; waren die Herren damals in beliebigen Farben zu den Abendgesellschaften erschienen, so setzte sich nun, dem Beispiel von Pelham folgend, der schwarze Abendanzug durch. Das Buch wurde damals als Schlüsselroman gelesen, was nicht Wunder nimmt, war doch Bulwers extravaganter Lebensstil in jenen Jahren der eines präviktorianischen Oscar Wilde, was ihn übrigens zu emsiger literarischer Produktion zwang, um jenen eine Weile sichern zu können.

Spoiler:
Die wichtige Nebenfigur Vincent liefert in Kapitel 52 einen poetologischen Exkurs über den Roman:

»[…] jeder gute Roman hat Einen großen Zweck und alle denselben — nemlich unsre Kenntniß des menschlichen Herzens zu vermehren. In diesem Sinne muß ein Novellenschreiber Philosoph seyn. […] Die Menschheit — das ist das Feld, welches der Novellenschreiber bearbeiten soll: die Wahrheit, die Moral überhaupt soll seine Ausbeute seyn. […] Eh’ er an seine Erzählung Hand anlegt, sollte er durch und durch mit der so kitzlichen Wissenschaft der Moral, und eben so mit den tiefer versteckten, wie mit den mehr offen liegenden Thätigkeiten des Geistes vertraut seyn. […] Ich meines Theils würde, wenn ich einen Roman schreiben wollte, mich zuerst auf scharfe, thätige und wachsame Beobachtung der Menschen und Sitten legen. Sodann würde ich, wenn ich durch Thätigkeit in der Welt mir die Wirkungen gemerkt hätte, den Ursachen durch Bücher und Nachdenken in meinem Cabinet auf die Spur zu kommen suchen. Dann erst, und früher nicht, würde ich zu den leichtern Reizen des Styls und äußerer anmuthiger Ausstattung mich wenden; auch der Erfindung nicht den Zügel schießen lassen, eh’ ich mich überzeugt hätte, daß sie weder Mißgeburten von Menschen, noch Bastarde der Wahrheit hervorbringen werde. Zu Trägern der Belehrung oder Belustigung würde ich Menschen nehmen, wie sie sind — nicht besser und nicht schlechter — und ihre Moral sollten sie eher durch Scherz und Ironie, als mit schwerfälliger und ernster Würde preisgeben. Nie wurde eine Unvollkommenheit durch Schilderung der Vollkommenheit geheilt, und wenn man sagt: Leichtfertigkeit und Spott verlocken so leicht zur Sünde, so sehe ich nicht ein, warum sie nicht auch zur Vertheidigung der Tugend gebraucht werden sollten.«

Dies nicht nur als Beispiel des essayistischen Anteils in Bulwers themen- und gedankenreichem Roman, sondern zugleich als Aufweis eines Anspruchs an sich selbst und sein Werk, dem der Autor in so jungen Jahren auf verblüffende Weise gerecht wird.

Die Hauptfigur, der junge Pelham, ist also, wie oben erwähnt, ein Stenz, ein Dandy, wovon man sich jedoch nicht täuschen lassen darf: er verbirgt seine politisch fortschrittlichen und menschlich anerkennenswerten Grundsätze gezielt durch ›understatement‹. Die erzählten Episoden sind z.T. voller Drastik und Satire und beziehen auch die niederen Bevölkerungsgruppen mit ein. Man wird Zeuge manch derber, lustiger Streiche, aber auch verbrecherischer Machenschaften bis hin zum Äußersten.
Aber darin erschöpft sich das Anliegen des Verfassers nicht. Zurecht bemängelt eine Dame auf einer Soirée im 67. Kapitel: »Wie befremdend ist es, […] daß kaum Eine unter allen Erzählungen und Romanen über die Gesellschaft, womit man alljährlich überschwemmt wird, eine auch nur erträgliche Beschreibung derselben gibt.«
Diesem Zustand wollte Bulwer-Lytton mit seinen Mitteln abhelfen. Insofern weist "Pelham" bereits auf die von Arno Schmidt gelobten späteren großen Gesellschaftsromane "Die Caxtons", "Meine Novelle" und "Was wird er damit machen" voraus.

Dieser Roman quillt förmlich über vor Anspielungen und Zitaten; die gesamte altphilologisch geprägte Bildungswelt steht dem jungen Verfasser zu Gebote, wobei besonders Horaz mit seinen treffsicheren Worten zur Sprache kommt. Wie ich es in meiner Übersetzung von "Ernest Maltravers" schon praktiziert habe, ist es auch hier - und fast noch mehr - nötig, dem heutigen Leser bei diesem geistig überaus angeregten und anregenden Text Verständnishilfen zu geben; deshalb finden sich im Anmerkungsapparat die Übersetzungen aller fremdsprachlichen Zitate mit Nachweisen ihrer Fundstellen; bei den lateinischen Zitaten wurde gerne auf klassische Übersetzungen wie die von Johann Heinrich Voß oder Christoph Martin Wieland zurückgegriffen. Zudem ging es um Hinweise zu etlichen Wortspielen, bei denen ich, wie auch bei den Sachanmerkungen, z.T. die Übersetzung von Franz Kottenkamp in der Fassung von 1845 zu Hilfe nahm, was in den Anmerkungen aber jeweils auch nachgewiesen ist. Die Sachanmerkungen wurden des Weiteren bewusst so detailliert gehalten, um die Assoziationsbreite bei diesem Werk bewusst zu machen; außerdem zeigt sich eine ungewöhnliche Belesen- und Beschlagenheit in aktuellen Fragen und zeitgenössischer Lektüre. Das Buch ist im besten Sinne ein Zeitroman, und ihn heute als solchen zu rezipieren, bedarf es eines gewissen Aufwandes (es sind so 505 Anmerkungen zusammengekommen) - aber man wird dafür mit britisch-schrägem Humor, mit drastischer Satire, mit unbestechlicher Gesellschaftskritik und nicht zuletzt mit kriminalistischer Spannung reich belohnt.

Dem eBook liegt die (gediegene) Übersetzung von Gustav Pfizer zu Grunde, und zwar in der Fassung von 1840 (die Erstausgabe erschien 1836), die fünf Bände mit insgesamt 631 Seiten umfasst. Die betreffenden GoogleBooks-Fraktur-Scans wurden in Ermangelung eines GoogleBooks-OCRs mit Hilfe eines trainierten FineReader OCRt und korrekturgelesen.
Wegen einer Handvoll Altgriechisch-Passagen war die Einbettung einer Schrift nötig (GalSIL Regular).
Das Bild des Buchdeckels ist das Frontispiz der Übersetzung von 1840.

Ich wünsche Euch an diesem brillanten Buch viel Vergnügen!

Und wenn Ihr es gelesen habt, werdet Ihr Euch gewiss die "Einleitung" in "Der Verstoßene", in der sich der Autor mit Pelham und dessen Diener Bedos in Form einer kleinen dramatischen Szene unterhält, mit Genuss ’reinziehen. Es ist auch eine Art Nachwort zu "Pelham" und setzt sich auf selbstironische Art mit Auffassungen zu dem Roman, besonders mit der Frage nach der Identität von Autor und Hauptfigur, auseinander.

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File Type: epub Bulwer - Pelham.epub (764.4 KB)

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